12. April 2021

Schule in Zeiten von Corona

Die Corona-Pandemie hat den Alltag von Schüler*innen und Lehrer*innen auf den Kopf gestellt – der Unterricht findet derzeit vor allem online statt. Doch die technischen Voraussetzungen sind hierfür häufig nicht erfüllt. Zudem mangelt es den Schulen an digitalem Know-how – und an Unterstützung von Seiten der Landesregierung. Auf der Strecke bleiben dabei vor allem die Schüler*innen; die Bildungsungerechtigkeit hat sich in der Pandemie noch einmal verstärkt. Mark Brockmann, Lehrer und Bildungsreferent der Jusos Essen, berichtet aus der Praxis.

„Das bisschen Online-Unterricht“? Von wegen! In der aktuellen Situation fühlen sich viele Schüler*innen aber auch Lehrer*innen überfordert, ratlos und allein gelassen. Schüler*innen vermissen vor allem die soziale Interaktion mit ihren Mitschüler*innen aber auch Lehrer*innen. Denn Unterricht in Präsenz ist so viel mehr als „nur“ Wissensvermittlung und Kompetenzaufbau. Zudem fehlt vielen Schüler*innen der geregelte und strukturierte Tagesablauf. Dabei zeigen sich einige Probleme, die auch schon vor der Corona-Pandemie aufgefallen sind, immer deutlicher. So haben Schüler*innen z. B. zunehmend Probleme mit dem selbstständigen Arbeiten und Strukturieren. Aber gerade beim Distanzlernen ist Selbstständigkeit besonders wichtig.

Die Erfahrungen der letzten Monate haben einmal mehr die Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem deutlich gemacht: Es setzt auf Selektion und unterscheidet in „arm und reich“. Nicht jede*r Schüler*in hat die gleichen Voraussetzungen und damit die gleichen Chancen. Die Versorgung einzelner Schüler*innen durch die Schulträger unterscheidet sich dabei deutlich von Kommune zu Kommune. In den Medien wird häufig diskutiert, dass gerade Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Familien gefördert werden müssen. Denn wie so häufig sind auch in der Corona-Pandemie genau diese Schüler*innen, die zuhause keine Unterstützung erhalten oder keine digitalen Endgeräte haben, die Verlierer*innen.

Es fehlt an Strategie und Weitsicht

Doch auch bei den Lehrer*innen bestehen Probleme – z. B. bei der technischen Ausstattung. Viele Schulträger haben sich erst jetzt darum gekümmert, sodass Lehrer*innen zunächst ihr privates Endgerät nutzen mussten. Teilweise ist der Unterricht zudem davon abhängig, wie viel (privates) Geld die Lehrer*innen investiert haben. Man stelle sich vor, Bankangestellte müssten sich ihre Computer selbst kaufen, um ihre Berufe ausführen zu können. Unmöglich! Auch sind viele Lehrer*innen nicht ausreichend geschult, um einen guten digitalen Unterricht durchführen zu können. Ein weiteres Problem ist, dass Lehrer*innen häufig nicht ausreichend oder zu kurzfristig informiert werden. So erhalten sie z. B. freitags die Anweisung, wie der digitale Unterricht am Montag aussehen soll. Vor allem Lehrer*innen, die zuvor kaum mit Digitalisierung in Berührung kamen, können so kurzfristig keinen zielführenden Unterricht planen. Es fehlen klare Strukturen, Anweisungen und vor allem Konzepte, wie Schulen mit der Pandemie umgehen sollen.

Diese Unsicherheit kommt letztlich von „ganz oben“: Die Corona-Schulpolitik der Landesregierung um Armin Laschet zeichnet sich seit Monaten vor allem durch unklare und teils widersprüchliche Entscheidungen aus. Vor den Osterferien gab NRW Ministerpräsident Armin Laschet z. B. an, dass dieser nicht sagen könne, welche Schulen bzw. Klassen nach den Osterferien wieder in Präsenz unterrichten bzw. unterrichtet werden. Helfen könnte es, wenn man bei bildungspolitischen Entscheidungen die Basis – also die Schüler*innen und Lehrer*innen vor Ort – miteinbeziehen würde, denn die kennen die Situation vor Ort am besten – bislang ist das nicht passiert.

Wie sieht es aktuell an den Schulen aus?

An einigen Schulen kommen gleichzeitig verschiedene Unterrichtsformen zum Einsatz – Präsenzunterricht, Hybridunterricht oder auch reiner Distanzunterricht. Der stetige Wechsel und die fehlende Struktur führen nicht gerade zu einem guten Unterricht. Ein Problem ist häufig, dass immer, wenn sich Schüler*innen und Lehrer*innen an ein Modell „gewöhnt“ haben, kurzfristig Änderungen vorgenommen werden. Darunter leidet die Motivation, einige Schüler*innen ziehen sich dann wieder zurück.

Kurz vor Ende der Osterferien hat die Landesregierung entschieden, die Beschulungsmodelle und Regeln zu ändern. Wieder einmal kurz vor dem Wochenende und somit auch kurz vor Schulbeginn. Zwei Wochen hatte die Landesregierung Zeit, mögliche Konzepte und Ideen zu entwerfen, zu planen und vor allem zu kommunizieren. Dass aufgrund der aktuellen Infektionslage erst einmal nur die Abschlussjahrgänge im Hybridunterricht beschult werden sollen mag noch nachvollziehbar sein. Jedoch werden Schüler*innen und Lehrer*innen mit der kurzfristig eingeführten Corona-Selbsttestpflicht nahezu überrumpelt. Die Tests finden bis auf sehr wenige Ausnahmen während der Unterrichtszeit im Klassenraum statt. Viel einfacher und im Hinblick auf potenzielle Infektionen könnten sich Schüler*innen und Lehrer*innen verpflichtend zuhause testen lassen.

Es braucht ein Umdenken

Viele Schüler*innen und Lehrer*innen wünschen sich eine klare Abgrenzung zwischen Präsenz- und Distanzunterricht. Der hochgelobte Hybridunterricht mag an gut ausgestatteten Schulen mit Schüler*innen aus bildungsnahen Familien funktionieren, Schulen mit problematischen Schüler*innen und/oder aus bildungsfernen Familien, die von Schulträgern und Land sowieso häufig vernachlässigt werden, verlieren durch die Pandemie den Anschluss nur noch mehr. Doch gerade diesen Schüler*innen sollte die bestmögliche Bildung ermöglicht werden – denn Bildung ist immer der Schlüssel zur Gesellschaft.

Der Bildungserfolg darf nicht abhängig vom familiären Hintergrund der Schüler*innen sein. Ebenso darf nicht das Glück darüber entscheiden, auf welche Schule Eltern ihre Kinder schicken. Es kann nicht sein, dass z. B. gut situierte Gymnasien hervorragend ausgestattet sind und Gesamtschulen in anderen Stadtteilen überhaupt nicht. Das Berufskolleg, das nahezu alle Schulabschlüsse ermöglicht und daher als gescheitert abgestempelten Schüler*innen eine neue Chance gibt, scheint dem Schulministerium auch während der Corona-Pandemie noch immer unbekannt zu sein.